Aktuelle Entwicklungen und Trends im Composites-Markt: Interview mit Dr. Elmar Witten, Geschäftsführer der AVK

Die Kurse finden direkt am Fraunhofer IFAM statt und die Teilnehmer erhalten neben begleitenden Unterlagen auch abschließende Zertifikate.
© AVK
Dr. Elmar Witten ist Geschäftsführer der AVK

Regelmäßig kommen im Fraunhofer IFAM Fachexperten aus Forschung, Verbänden und der Industrie zusammen, um sich bei den Bremer Faserverbundtagen zwei Tage über Neuigkeiten aus dem Bereich der Faserverbundtechnologie zu informieren, alte Kontakte zu pflegen und neue Kontakte zu knüpfen. Anlässlich der diesjährigen Bremer Faserbundtage hielt Dr. Elmar Witten, Geschäftsführer der AVK – Industrievereinigung Verstärkte Kunststoffe e. V. einen Vortrag zum Thema »Aktuelle Entwicklungen und Trends im Composites-Markt«. Wir haben die Chance genutzt, ihn zur Marktlage von faserverstärkten Kunststoffen (FVK), der Verbandsarbeit der AVK und der Wichtigkeit von Weiterbildung für den FVK-Bereich zu befragen. Zudem wagt er im Interview einen Ausblick auf mögliche neue Anwendungsgebiete von Composites in naher Zukunft.

 

Herr Dr. Witten, oft hört man den Satz »Composites, das ist doch ein neuer Werkstoff« – was stört Sie an diesem Ausspruch? Haben faserverstärkte Kunststoffe ein Imageproblem?

Nein, Composites haben am Markt kein schlechtes Image – im Gegenteil. Anders als sonstige Kunststoffarten, die mit Themen zu kämpfen haben wie der Verschmutzung der Meere, haben faserverstärkte Kunststoffe ein positives Image. Im Kontext von Composites hört man eher Begriffe wie »Hochleistungswerkstoff«, was sicherlich mit der häufigen Anwendung in Spezialbereichen der Branchen Transport, sowie Sport und Freizeit zu tun hat. Was ich hingegen tatsächlich immer wieder richtigstellen muss, ist der Eindruck, dass Composites »neue Werkstoffe«seien. De facto sind Faserverbundkunststoffe schon fast hundert Jahre alt. Ich nehme an, dass der Ruf entstanden ist, weil gerade durch das Aufkommen von Carbon und die Nutzung für Strukturbauteile im Automobilbereich für viele Laien der Eindruck entstanden ist: »Mensch, da werden jetzt ganz neuartige Werkstoffe verwendet.« Dabei wurden schon in den 1960er-Jahren Faserverbundkunststoffe in Serie in Automobilen verbaut. Dennoch sind Composites teilweise leider immer noch relativ unbekannte Werkstoffe. Viele Anwender wissen gar nicht, dass sie für ihre spezifischen Anwendungen faserverstärkte Kunststoffe nutzen können.

 

Was tun Sie als Verband, gemeinsam mit Mitgliedern wie dem Fraunhofer IFAM, um dies zu ändern?

Die AVK ist seit 1924 aktiv – die Hauptaufgaben sehen wir in der Bereitstellung sachlicher Informationen über faserverstärkte Kunststoffe und die Schaffung von größerer Bekanntheit für den Werkstoff und seine Eigenschaften in der Industrie. Darüber hinaus klären wir über mögliche Einsatzgebiete und Potenziale von Composites auf. Dies versuchen wir mit Hilfe von Veranstaltungen, Messen, Vorträgen, aber vor allem auch durch kontinuierliche Tätigkeiten in unseren Arbeitskreisen, in denen unsere Mitglieder zusammenkommen. Zudem erheben wir regelmäßig Marktdaten und stellen Auswertungen unserer Mitgliederbefragungen frei zur Verfügung. Gerade aber der aktive Austausch mit Mitgliedern wie dem Fraunhofer IFAM und anderen Composites-Experten wie etwa auf den Bremer Faserverbundtagen ist sehr wichtig. Deswegen habe ich mich auch sehr gerne bereiterklärt, hier vorzutragen.

 

Welche Rolle kann und muss hier Weiterbildung einnehmen?

Ein Instrument, um die FVK am Markt bekannter zu machen, ist ohne Zweifel Weiterbildung. Fehlende Kenntnisse über die Materialien führen dazu, dass sie oft gar nicht erst in als ernsthafte Alternative in Erwägung gezogen werden. Wir als AVK bieten selbst Seminare zum Thema Composites an, aber auch Angebote wie das des Weiterbildungszentrums Faserverbundwerkstoffe am Fraunhofer IFAM, sind in diesem Zusammenhang wichtig. Wenn Menschen über Weiterbildung informiert werden, was die Werkstoffe können und wie sie verarbeitet werden sollten, mit welchen Verfahren man auf welche Weise umgehen muss und wie man insgesamt in der Anwendung vorgeht, dann hilft das zur weiteren Akzeptanz von Composites.

 

Die AVK beobachtet seit Jahrzehnten die Marktsituation von Composites in Europa. Bevor wir auf die aktuellen Entwicklungen kommen, eine kurze Einordnung: Wie „wichtig“ ist der FVK-Markt im Gegensatz zu Materialien wie Beton, Stahl, Plastik oder Aluminium?

Betrachtet man rein vom Volumen her die Herstellungsmenge im Vergleich zu konkurrierenden Werkstoffen, handelt es sich beim Composites-Markt um einen relativ kleinen Markt. Es ist klar, die gigantischen Herstellungsmengen, etwa von Beton oder Stahl, werden Composites nicht erreichen. Das hat aber nichts mit der Bedeutung des Werkstoffes zu tun. Der Markt ist äußerst agil, die Wachstumsraten sind hoch: Die weltweite Zunahme der Gesamtherstellungsmenge von Composites beträgt seit einigen Jahren 5-10% jährlich. Wir merken den Bedeutungszuwachs auch in den Industrien, die mit Composites-Bauteilen beliefert werden: So steigt etwa der Anteil von FVK im Automobilbau und anderen Anwendungsbereichen kontinuierlich. Gerade der CFK-Markt war in letzter Zeit einem großen Wachstum unterlegen.

 

Apropos CFK: Gerade um Carbon gab es in den vergangenen Jahren einen regelrechten Hype. Warum war das so und wird diese wahrgenommene Aufmerksamkeit der tatsächlichen Bedeutung gerecht?

Das Wort »Hype« trifft es in der Tat. Doch meiner Einschätzung nach ist die Welle der Begeisterung mittlerweile abgeklungen – der Hype ist vorbei. Er war ausgelöst worden, weil Carbon andere Eigenschaften für die Bauteile liefert, was mechanische Eigenschaften angeht, als Glas. Man kann Carbon-Bauteile aus diesem Grund für Strukturanwendungen verwenden, bei denen man Glas nicht einsetzen kann. Stellen Sie sich etwa die Carbon-Fahrgastzelle des BMW i3 vor: Das ist ein Bauteil, das in dieser Weise nicht aus GFK hätte gefertigt werden können. Oder bestimmte Halterungssysteme für Flügel von Windrädern, bei denen ebenfalls nur CFK eingesetzt werden kann. Genauso könnte man Anwendungen etwa aus dem Flugzeugbau nennen. Das sind alles Beispiele, bei denen Carbon ein absolutes Muss ist. Aber abgesehen von solchen Leuchtturmprojekten bleibt der CFK-Markt ein Nischenmarkt, was auch sicherlich am Kostenfaktor liegt. Die Marktentwicklung ist dynamisch und spannend, aber eben in sehr speziellen Anwendungsgebieten, wo der Werkstoff dann unersetzlich ist. Die Realität ist: Rund 95% der global hergestellten Menge an Composites sind GFK, ca. 1% sind CFK.

 

Wenn wir schon bei einer Bestandsaufnahme sind: Welche Staaten und Branchen sind momentan die Treiber am europäischen Composite-Markt?

Zunächst ist zu betonen: Die Composites-Industrie ist und bleibt eine Zuliefer-Industrie, was den Markt natürlich abhängig von der volkswirtschaftlichen Gesamtentwicklung macht. Was die momentanen Hauptanwendungsgebiete für FVK-Bauteile angeht, zeigt sich mit dem Blick auf die aktuellen Zahlen aus Europa ein bekanntes Bild: In etwa ein Drittel der Produktion wird in der Transportbranche verwendet. Diese umschließt Automotive und Luftfahrt, aber auch Nutz- und Schienenfahrzeugbau. Ein weiteres Drittel der hergestellten Menge Composites fließt in den Bereich Bau und Infrastruktur, wir sprechen hier beispielsweise von Rohren, aber auch Fassadenlösungen oder Tanks. Gerade dieses Gebiet ist auch künftig vielversprechend. Betrachtet man die Herstellungsmengen in den verschiedenen europäischen Staaten, ist Deutschland in den letzten Jahren innerhalb Europas führend: Das jährliche Produktionsmengenwachstum ist hier höher als im Durchschnitt Europas in den vergangenen Jahren. Gerade was innovative Lösungen und automatisierte Produktionsverfahren angeht, ist Deutschland im europäischen Vergleich sehr gut aufgestellt.

 

Sie befragen Ihre Mitglieder regelmäßig. Wie kann man die aktuelle Stimmung in der Composites-Industrie und die Einschätzung für die Wachstumstreiber der Zukunft zusammenfassen?

Was die Matrixsysteme angeht, sind thermoplastische Materialien auf dem Vormarsch. Thermoplaste bieten einige Vorteile bei der Verarbeitung insbesondere großer Stückzahlen. Daher eignen sich diese vor allem für neue und innovative Anwendungen, etwa im Automobilbereich. Statistiken zeigen, dass die Wachstumsentwicklung für thermoplastische Materialien in den letzten Jahren weit überdurchschnittlich war, immer noch ist und nach Meinung der befragten Mitglieder auch sein wird. Kohlefaserverstärkte Kunststoffe (CFK) werden trotz des schon erwähnten abgeflauten Hypes von den Befragten überdurchschnittlich positiv eingeschätzt. Unseren Mitgliedern ist bewusst, dass es Anwendungen gibt, die ohne Carbon einfach nicht realisierbar sind, wenn es um bestimmte Anforderungen geht – gerade bei Hochleistungsbeanspruchung von Bauteilen. Was die künftigen Chancen in bestimmten Branchen angeht, sehen die Befragten vor allem hinsichtlich des Potenzials in der Bau- aber auch der Luftfahrt- und nicht zuletzt der Sport- und Freizeitbranche zuversichtlich in die Zukunft. Was den Automotive-Bereich angeht, sind die Erwartungen etwas vorsichtiger.

 

Asien, insbesondere China, ist längst ein globales wirtschaftliches Schwergewicht. Inwiefern zeigt sich dies auch auf dem Composites-Markt?

In der Befragung unserer Mitglieder im vergangenen Jahr zeigte sich, dass etwa ein Drittel der Teilnehmer Asien als den größten künftigen Wachstumstreiber wahrnimmt. Damit liegt Asien in dieser Erhebung auf dem ersten Platz, noch vor Europa beziehungsweise Deutschland. Betrachtet man die Entwicklung der Befragungsergebnisse über die vergangenen Jahre hinweg, zeigt sich ein klarer Trend: Die Rolle Asiens wird als immer bedeutsamer eingeschätzt. Dass Asien und China hier so weit oben platziert sind, ist nicht überraschend. Viele unserer Mitgliedsfirmen liefern in bestimmte Anwendungsindustrien, vor allem den Transport- und den Baubereich. Und gerade was die Herstellung von Fahrzeugen, beispielsweise beim Thema Elektromobilität, angeht, prescht China immens voran. Inzwischen ist Asien entlang der gesamten Prozesskette fähig, mit Composites zu arbeiten, das fängt schon bei der Herstellung an. Wir als AVK beobachten solche Entwicklungen auf dem globalen Markt und unterstützen Firmen etwa mit Workshops, wenn sie in anderen Weltregionen Fuß fassen wollen. Wir begrüßen es aber auch, wenn der deutsche und europäische Markt auf Interesse von ausländischen Unternehmen stößt.

 

Welche neuen Anwendungsgebiete sehen Sie hinsichtlich Composites in den kommenden Jahren?

Ich möchte Ihnen hier mehrere Beispiele geben, die zeigen, wie vielfältig die Einsatzmöglichkeiten auch zukünftig für faserverstärkte Kunststoffe sind: Zum einen sei hier der neue 5G-Mobilfunkstandard genannt, der den Bau einer Menge neuer Mobilfunkmasten erfordern wird. Als Material für diese Anlagen eignen sich Composites hervorragend. Gerade im Bau-Bereich sind die Anwendungen vielfältig und es liegt riesiges Potenzial brach, das noch längst nicht ausgeschöpft ist: Bereits heute gibt es in den Niederlanden an die hundert FVK-Brückenprojekte, die realisiert wurden, in Ländern wie Saudi-Arabien entstehen faszinierende Gebäude, die nahezu komplett aus Composites gefertigt sind. Die Leichtbau-Charakteristika, aber auch die hervorragenden Materialeigenschaften von Verbundkunststoffen wie etwa Korrosionsschutz, ermöglichen auch ganz neue Denkansätze – überlegen Sie einmal, wie gut sich FVK beispielsweise für Schleusentore eignen könnte, die ständig Feuchtigkeit ausgesetzt sind. Im Baubereich sehen wir uns allerdings gerade in Deutschland der Herausforderung ausgesetzt, dass es eine Vielzahl an Reglementierungen gibt, die vor einer erfolgreichen Bauzulassung beachtet werden müssen. Wir werben daher gemeinsam mit unseren Mitgliedern dafür, dass Anpassungen an diesen Regulierungen vorgenommen werden, sodass Composites unkomplizierter im Bauprozess eingesetzt werden können.

 

Vielen Dank für das Interview.

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