Mit Life Cycle Assessment Umweltwirkungen von Leichtbaumaterialien und Composites über den gesamten Lebenszyklus analysieren

Zwei Lehrgänge unter Mitarbeit des Fraunhofer IFAM vermitteln grundlegendes Know-how zur Ökobilanzierung

Die Kurse finden direkt am Fraunhofer IFAM statt und die Teilnehmer erhalten neben begleitenden Unterlagen auch abschließende Zertifikate.
© annca/Pixabay
Mit Life Cycle Assessment Umweltwirkungen von Leichtbaumaterialien und Composites über den gesamten Lebenszyklus analysieren

Umfragen zeigen die Wichtigkeit von Umweltthemen für Wahlentscheidungen, Unternehmen vermarkten ihre Produkte unter dem Label der Nachhaltigkeit, Umweltskandale führen zu hohen Strafzahlungen für Konzerne: Die Auswirkungen unseres menschlichen Handelns auf die Umwelt werden in Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft immer bedeutsamer. Die gebräuchliche Methodik, um die Umweltwirkungen bestimmter Produkte oder Prozesse datenbasiert einzuschätzen, ist das Life Cycle Assessment (LCA). Befragungen von Entscheidern belegen, dass es einen großen Bedarf an Know-how in der Industrie zu diesem Thema gibt. Zwei Weiterbildungskurse, an deren Konzeption und Umsetzung das Weiterbildungszentrum Faserverbundwerkstoffe des Fraunhofer IFAM beteiligt ist, haben LCA deswegen in ihre Lehrpläne aufgenommen: Zum einen der Leichtbau-orientierte Lightweight Professional, zum anderen der Composite Engineer, der faserverstärkte Werkstoffe im Fokus hat. Im folgenden Beitrag kommen drei Expertinnen zu Wort, die an der Integration von LCA in die Lehrgänge beteiligt sind. Es wird erläutert, was man unter LCA versteht, warum Industrieunternehmen davon profitieren und welches konkrete Wissen zu LCA Teilnehmer der beiden vorgestellten Weiterbildungskurse erhalten.

Life Cycle Assessment (LCA) oder auch Ökobilanzierung ist ein systematisches Bewertungsverfahren, das Umweltwirkungen von Produkten, Dienstleistungen oder Prozessen über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg (»from cradle to grave«) analysiert. Es ist international in den Normen DIN EN ISO 14040/14044 standardisiert und deswegen »eine wissenschaftlich anerkannte Methodik«, wie Dr. Andrea Gassmann, Leiterin Kreislaufmanagement am Fraunhofer IWKS, betont. Die Zieldefinition steht stets am Anfang, dann folgen Sachbilanz, Wirkungsabschätzung und Auswertung. Die drei letztgenannten Schritte, so Gassmann, werden aber nicht einfach nacheinander abgearbeitet: »Die Ökobilanzierung ist eine iterative Methode. In den einzelnen Phasen werden die Ergebnisse der anderen Phasen verwendet. Entscheidend ist jedoch, dass sich die Umweltwirkungen immer auf eine Referenzgröße – die sogenannte ‚funktionelle Einheit‘ – beziehen, die man zu Beginn definiert.« In die Analyse werden an jeder Stelle des Lebenszyklus alle Stoff- und Energieströme, die ins System ein und ausfließen, einbezogen: eine ganzheitliche Betrachtungsweise. Andrea Hohmann, Abteilungsleiterin Fabrikplanung und Bewertung am Fraunhofer IGCV, erklärt, warum LCA für die Industrie so interessant ist: »Unternehmen können Kosten meist schon rein vom Gefühl her recht genau einschätzen. Bei Umweltwirkungen ist das anders. Dort gibt es neben offensichtlichen auch sehr viele weniger augenscheinliche Folgen. Die Ökobilanzierung lässt Unternehmen verstehen, welchen Einfluss ihre Prozesse auf die Umwelt haben – und zwar für alle relevanten Prozessschritte.« LCA kann zur Beantwortung der unterschiedlichsten Untersuchungsfragen genutzt werden: Möchte man eine fundierte Aussage über die Umweltwirkung eines Produkts treffen und Kenndaten dazu liefern? Will man herausfinden, welche Phase im Lebenszyklus eines Bauteils den relevantesten Impact auf das Gesamtergebnis hat? Ist Ziel der Analyse, Optimierungspotenziale in einzelnen Prozessschritten aufzudecken und die besten Stellhebel zur Modifikation zu identifizieren? Soll ein Vergleich zwischen mehreren Produkten anhand verschiedener Wirkungskriterien durchgeführt und die Grundlage für eine Entscheidung getroffen werden? Auch aufgrund der vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten steht LCA bei immer mehr Firmen auf der To-do-Liste – allein das Wissen über die Methodik ist oftmals noch lückenhaft. Dies wollen das Fraunhofer IFAM und seine Partner mit Hilfe ihrer Weiterbildungsangebote ändern.

 

Nachhaltigkeit im Leichtbau sicherstellen – Life Cycle Assessment im Lehrgang Lightweight Professional

Der Versuch, das Gewicht von Strukturen zu reduzieren, ist in den letzten Jahren ein immer wichtigerer Handlungspunkt für viele Industriesektoren geworden. Häufig werden allerdings grundlegende Richtlinien und Kriterien im Umgang mit Leichtbau-Werkstoffen nicht eingehalten. Ergebnisse von »Awareness-Workshops« mit Entscheidern aus der Leichtbau-Industrie im Rahmen des EU-Projekts »LightRight« bestätigen dies. Beate Brede, Leiterin des Weiterbildungszentrums Faserverbundwerkstoffe am Fraunhofer IFAM, erklärt: »Es kristallisierten sich in der Befragung grundlegende Bedarfe der Industrie heraus, die bereits bei der Auswahl des passenden Leichtbaumaterials ansetzen. Darauf reagieren wir mit unserem Weiterbildungsangebot.« Der Lehrgang »Lightweight Professional« wird europaweit an vier Standorten durchgeführt, ist modular aufgebaut und kombiniert Präsenz- und E-Learning-Angebote. Im Grundlagenmodul, das im September 2019 das erste Mal belegt werden kann, bekommen Teilnehmer die Basis für einen umfassenden Wissenserwerb im Leichtbau-Bereich – in Form eines Überblicks über Prozesse, Rahmenbedingungen und Auswirkungen des Leichtbaus. LCA nimmt in diesem Zusammenhang eine wichtige Position ein, so Dr. Andrea Gassmann, die für die Integration der Ökobilanzierung in den Lehrgang Lightweight Professional verantwortlich ist: »Will man gleichwertige Produkte aus verschiedenen Materialien, in diesem Fall aus dem Leichtbaubereich, bewerten und beurteilen, ist die Methodik der Ökobilanzierung ein interessanter Ansatzpunkt dafür.« LCA wird im Weiterbildungskurs im Rahmen eines E-Learning-Angebots thematisiert und ist damit vollkommen flexibel und ortsunabhängig belegbar. Mittels Lernvideos und kompakt aufbereiteten Informationen wird Ökobilanzierung auch Teilnehmern ohne Vorkenntnisse grundlegend und verständlich nähergebracht. Absolventen des Grundlagenmoduls haben nach Abschluss dieser einführenden Veranstaltung einen Überblick, worum es beim Thema Ökobilanzierung geht, welche Vor- und Nachteile mit LCA verbunden sind und welche Software-Lösungen es in diesem Bereich gibt. Ein optimaler Startpunkt, um sich klar zu werden, inwiefern eine tiefere Auseinandersetzung mit der Methodik auch im eigenen Betrieb sinnvoll ist.

 

Umweltwirkungen von Composites analysieren – Composite Engineer thematisiert Ökobilanzierung

Der Lehrgang »Composite Engineer« wird bereits seit einigen Jahren als ein Gemeinschaftsprojekt mehrerer Fraunhofer-Institute, die in der Fraunhofer-Allianz Leichtbau zusammengeschlossen sind, angeboten. Er qualifiziert Mitarbeiter, den gesamten Produktlebenszyklus eines aus faserverstärkten Werkstoffen hergestellten Bauteils von der Produktentwicklung über die Fertigung bis zur Reparatur zu betreuen. Laut Beate Brede ist dabei besonders wichtig, dass Teilnehmer die Kompetenz erwerben, »hinsichtlich des fach- und artgerechten Einsatzes der Faserverbundwerkstofftechnologie interdisziplinär zu denken, zu bewerten, zu entscheiden und zu handeln.« Gerade aus diesem Grund ist LCA auch beim Composite Engineer ins Lehrgangskonzept eingeflossen. Bislang wurde das Thema Umweltbetrachtungen im Aufbaumodul »Recycling und Instandhaltung« neben Punkten wie Prüfmethoden und Recycling-Konzepten überblicksartig behandelt. Künftig wird LCA einen noch größeren Stellenwert erhalten. Das zeigt sich darin, dass zusätzlich zum bestehenden Angebot das neue Modul »Produktionssystemgestaltung und Bewertungsmethoden« angeboten wird, in dem insgesamt eineinhalb Tage über viele Aspekte der LCA mit dem Fokus Composites gesprochen wird. Maßgeblich an der Konzeption des Präsenzmoduls beteiligt ist Andrea Hohmann: »Unser Ziel ist es, dass Teilnehmer, die das Modul abgeschlossen haben, sensibilisiert sind, um die Vor- und Nachteile, Stolpersteine und Voraussetzungen für die Umsetzung einer Ökobilanzierung im eigenen Betrieb einschätzen zu können. Im Allgemeinen aber auch für die Analyse und Bewertung von Faserverbundstrukturen«, so die Forscherin, die selbst aus dem Composite-Bereich stammt und sich dem Thema LCA in den vergangenen Jahren selbst intensiv gewidmet hat. Das »Prinzip Ökobilanzierung« wird dabei nicht nur theoretisch vermittelt. Vielmehr erarbeiten sich die Teilnehmer das Thema LCA auch im Rahmen von Gruppenarbeiten und anhand von Praxisbeispielen. Das gelernte Wissen wird durch die Besichtigung von Anlagen vor Ort, aber auch durch Diskussionsrunden, etwa zur Gewichtung unterschiedlicher Umweltwirkungsindikatoren, ergänzt. Ab 2020 wird das neue Modul erstmals in den Räumlichkeiten des Fraunhofer IGCV in Augsburg angeboten.

 

Eine Methodik etabliert sich in der Praxis – Herausforderungen und Handlungsoptionen des Schnittstellenthemas Life Cycle Assessment

Life Cycle Assessment liegt im Trend. Trotz aller Konnotationen mit Ökologie und Umweltschutz ist es für Beate Brede »kein esoterisches Hirngespinst, sondern ein höchst wissenschaftliches und datengetriebenes Instrument zur Wirkungsanalyse.« Diese Ansicht hat sich offenbar auch in der industriellen Praxis verbreitet – der Erfolg von LCA ist längst sichtbar: Neben Kapitaleinsatz, Verfügbarkeit und Materialeigenschaften werden auch Nachhaltigkeitsaspekte in Bezug auf die verwendeten Werkstoffe oder die hergestellten Produkte als Bewertungskriterien immer wichtiger. Große Industriekonzerne verfügen über mittlerweile eigene Umweltmanagement-Abteilungen, die sich um die Thematik kümmern. Mittelständische Unternehmen werden auf LCA aufmerksam und versuchen, es in ihrem Umfeld gewinnbringend umzusetzen, ob sie es nun inhouse oder auch mit Hilfe externer Dienstleister angehen. Auch viele EU-Projekte fordern Kenntnisse über Ökobilanzierung, wollen Forschungsinstitute und Industriepartner erfolgreich an Ausschreibungen teilnehmen. Dennoch ist LCA aufgrund der unbestreitbaren Marketing-Vorteile immer noch zu häufig nur auf Management-Ebene ein bekanntes und diskutiertes Thema, gibt Andrea Hohmann zu bedenken. Dabei sei es unbedingt erforderlich, dass »die Ökobilanzierung auf der technologischen Ebene ankommt.« Denn die Bewertung eines technischen Systems fällt aus Erfahrung der Forscherin leichter, wenn man die technologischen Zusammenhänge versteht. Nur so könnten Optimierungspotenziale erkannt und dann auch ausgeschöpft werden, betont Hohmann. Handlungsbedarf sieht sie vor allem beim Zeitpunkt der Auseinandersetzung mit Umweltwirkungen im Prozess: »LCA sollte noch mehr bereits in die Entwicklung und in den Designprozess aufgenommen werden. Bis zu 80% aller späteren Folgekosten, aber eben auch die letztendlich entstehenden Umweltwirkungen, werden in dieser Phase festgelegt. Daher ist es dringend geboten, die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Entwicklern oder Konstrukteuren auf der einen und Umweltmanagern und Experten für Ökobilanzierung auf der anderen Seite noch stärker zu forcieren.« Einen wichtigen Beitrag dafür im Bezug auf das Schnittstellenthema LCA leisten Weiterbildungsangebote wie der Lightweight Professional und der Composite Engineer.

Weitere Informationen zu den Weiterbildungsangeboten

Lightweight Professional

Informieren Sie sich hier über den Lehrgang Lightweight Professional (in englischer Sprache)

Composite Engineer

Mehr Informationen über das Weiterbildungsangebot Composite Engineer

DIE MODULE DES COMPOSITE ENGINEER UND DES LIGHTWEIGHT PROFESSIONAL WERDEN WECHSELSEITIG ANERKANNT

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