PD Dr.-Ing. habil. Jens Holtmannspötter im Interview

Sein Vortrag »Adhäsion auf Kunststoffoberflächen - alles nur eine Frage der ‚richtigen‘ Rauheit?« bei den Bremer Klebtagen im Juni 2021 basierte auf entscheidenden Erkenntnissen in der Forschung von Klebtechnologien. Wir haben mit PD Dr.-Ing. habil. Jens Holtmannspötter, Geschäftsbereichsleiter am Wehrwissenschaftlichen Institut für Werk- und Betriebsstoffe (WIWeB) der Bundeswehr in Erding an der Universität der Bundeswehr München, im Nachgang gesprochen. PD Dr.-Ing. habil. Jens Holtmannspötter teilt sein Wissen über die Signifikanz von rauen Oberflächen, der Angström-Technologie Kleben und die Abwaschung von molekularen Fragmenten beim Kleben auf Polymeroberflächen.

Jens Holtmannspötter
© Bundeswehr
PD Dr.-Ing. habil. Jens Holtmannspötter, Geschäftsbereichsleiter am Wehrwissenschaftlichen Institut für Werk- und Betriebsstoffe (WIWeB) der Bundeswehr in Erding an der Universität der Bundeswehr München,

Herr PD Dr.-Ing. habil. Jens Holtmannspötter, Ihr Vortrag »Adhäsion auf Kunststoffoberflächen - alles nur eine Frage der ‚richtigen‘ Rauheit?« gewann großes Interesse unter den Teilnehmern der Bremer Klebtage 2021. Was sind die Key Messages des Vortrags und wie sind Sie zu den Bremer Klebtagen 2021 gekommen?

Als Wissenschaftler bei der Bundeswehr beschäftige ich mich seit 2005 mit dem strukturellen Kleben. Zunächst im Rahmen meiner Doktorarbeit zur Verbesserung von klebtechnischen Reparaturverfahren für neue fliegende Systeme aus Faserverbundkunststoffen. 2010 gründete ich dann an unserem Institut die Forschungsgruppe »Strukturelles Kleben«. Vor zwei Jahren haben wir sehr bedeutende Erkenntnisse gewonnen. Wir haben uns den Klebprozess nicht wie üblich in Millimeter- oder Mikrometer-Bereich angeschaut, sondern in einem noch kleineren Maßstab, dem Nanometer- und Angströmbereich. Dabei zeigte sich, dass alle Polymerflächen zur Gewährleistung der Haftkräfte beim Kleben nur eine spezielle Rauheit auf der Oberfläche benötigen. Es scheint entgegen der Lehrbuchmeinung gar keinen Unterschied der Mechanismen bei verschiedenen Polymerarten zu geben. Dies überrascht, da Oberflächen von sogenannten »schlecht klebbaren« Thermoplasten wie z. B. PA6 oder PEEK mittels physikalischer Vorbehandlungsmethoden wie z. B. Laser- oder Plasmatechnologien vor dem Kleben behandelt werden müssen, um eine ausreichend hohe Oberflächenenergie durch eine funktionalisierte Polymeroberfläche zu erreichen. Wir konnten anhand unserer Analysen nun aber zeigen, dass allein die molekulare Rauheit, bildlich eine »haarige Struktur«, die durch die Einwirkung des Laser- und Plasmaverfahrens durch Polymerkettenbrüche entsteht, ausschlaggebend für den erfolgreichen Klebprozess ist. Andere Wirkungen und Oberflächenparameter, die der Laser hervorruft, sind nicht relevant. Der Erfolg beim Klebprozess ist also tatsächlich nur eine Frage der »richtigen« Rauheit der Oberfläche! Richtig heißt in diesem Fall, eine Rauheit im molekularen Maßstab und keine makroskopische Rauheit, wie sie durch die Anwendung mechanischer Vorbehandlungsverfahren, wie z. B. dem Schleifen, entsteht.

Ich habe mich sehr über die Einladung von Prof. Dr. Andreas Groß gefreut, dieses Wissen bei den Bremer Klebtagen 2021 zu teilen.

Nach diesen bahnbrechenden Erkenntnissen: Was steht jetzt im Vordergrund?

Unser Ziel ist es, diese neuen Erkenntnisse in der Forschung und Industrie bekannter zu machen und in die Aus- und Weiterbildungen von Personal zu integrieren. Früher wurden Kunststoffe in gut und schlecht klebend unterteilt. Das ist nicht mehr notwendig, denn nun können wir auch mit den schwierig zu klebenden Thermoplasten zuverlässig hochfest kleben. Außerdem können so Vorbehandlungsverfahren richtig ausgewählt werden und Prozesse besser überwacht werden. Wir forschen natürlich auch weiterhin im Bereich der Klebtechnologie auf Nano- und Angström-Level.

Welche Fragen und welches Feedback vom Publikum der Bremer Klebtage haben Sie erhalten? Wie sind die Reaktionen bei Vorträgen und Weiterbildungen allgemein?

Wir bekommen sehr viel positives Feedback auf unsere neuen Thesen. Die Ergebnisse überraschen zunächst viele Wissenschaftler. Bislang ist auch noch niemand mit Gegenargumenten auf uns zu gekommen. Als Reaktion auf unseren Vortrag kommt aber immer wieder die Frage nach der Rolle der Benetzung auf und warum das Schleifen bei vielen Thermoplasten keine klebbaren Oberflächen erzeugt. Dann erklären wir meist erstmal, in welch kleinen Maßstäben das Kleben grundsätzlich abläuft und dass man daher die Oberflächen und Vorgänge zum Haftungsaufbau in den kleinen Maßstäben denken sollte. Die üblicherweise millimetergroßen Wassertropfen der gängigen Benetzungstests reagieren gänzlich anders als der Klebstoff im Nanometerbereich. Wir haben hier leider oft ein falsches Bild im Kopf.

Thermoplaste sind Kunststoffe, bei denen die Makromoleküle nicht quervernetzt sind. Die Moleküle weichen einer mechanischen Belastung aus. Es kommt im Gegensatz zu Duromeren zu wenig Kettenbrücken und somit nur zu einer geringen Zunahme der molekularen Rauheit. Hier müssen statt mechanischer Vorbehandlungsmethoden physikalische Vorbehandlungsmethoden eingesetzt werden. Wichtig dabei ist, dass die oft beobachtete Funktionalisierung von Polymeroberflächen nur lose, auf den Oberflächen liegende, Molekülfragmente sind. Diese können einfach abgewaschen werden.

Wie sieht Ihre Zusammenarbeit mit dem IFAM aktuell aus?

Mit dem Fraunhofer IFAM pflegen wir eine jahrzehntelange unkomplizierte Zusammenarbeit. Wir stehen im Austausch und bieten Unterstützung im Bereich der Forschung und der Ausbildung. Auf der anderen Seite profitieren wir zum Beispiel von den Normierungen, die das Fraunhofer IFAM vorantreibt. Herr Prof. Dr. Andreas Groß am IFAM hat mit seinem Team beispielsweise eine große Anzahl an Normierungen und Akkreditierungen im Bereich der Weiterbildung ins Leben gerufen. Das Kleben ist dadurch erst »professionell« geworden.

Die Bundeswehr erwartet die Einhaltung dieser Normen seit einiger Zeit auch von ihren Lieferanten und geht damit als gutes Beispiel voran. Die Firmen, die Produkte mit sicherheitsrelevanten Klebungen an die Bundeswehr liefern, müssen ihre Mitarbeiter entsprechend schulen und die geforderten Vorkehrungen am Arbeitsplatz einhalten.

Welche Rolle spielen Themen wie Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Arbeitssicherheit bei Ihren Forschungen?

Alle drei Themen spielen eine wichtige Rolle bei der Bundeswehr und dem Wehrwissenschaftlichen Institut für Werk- und Betriebsstoffe (WIWeB) in Erding, an welchem ich tätig bin. Nachhaltigkeit entsteht auch durch langlebige, leistungsstarke Produkte und geringeren Ressourcenverbrauch. Mit unserer Forschung und der Bekanntmachung wissenschaftlicher Ergebnisse fördern wir die Entwicklung des Leichtbaus in der zivilen Industrie. Verkehrsmittel, die mittels Faserverbundwerkstoffen und Klebtechnik erheblich leichter gebaut werden können, sparen natürlich auch Energie. Die Digitalisierung geht mit tollen, neuen Möglichkeiten in der Forschung einher. Analytikverfahren erlauben genauere Messungen und mehr Daten können ausgewertet werden. Die Fortschritte der letzten Jahre sind beeindruckend.

Welchen Herausforderungen begegnen Sie in der Forschung und in der Industrie?

Interessanterweise begegnen wir in beiden Bereichen sehr ähnlichen Herausforderungen. Wir möchten dazu animieren, auch bei industriellen Prozessen das Kleben in den kleinen Maßstäben zu denken. Das in der Forschung erzeugte Wissen sollte genutzt werden, um Prozesse sicher zu gestalten. Dafür ist ein gutes Verständnis der Mechanismen unter den Entscheidern und Umsetzern in der Industrie wichtig. Dieses Verständnis und das nötige Fachwissen vermitteln wir gerne auf Tagungen und Weiterbildungen wie auch bei den Bremer Klebtagen 2021 des Fraunhofer IFAM. Im Gegenzug ist der Dialog mit den Anwendern für uns als Forschungseinrichtung essentiell.

Wie schaffen wir es, in bedeutenden, industriellen Bereichen – wie beispielsweise in der Luftfahrtindustrie – Klebeprozesse für Hochleistungsstrukturen zu entwickeln, die höchsten Sicherheitsanforderungen gerecht werden? Wie können wir eine ausreichende Qualitätssicherung weiterentwickeln? Fragen, die wir nur gemeinsam lösen können.

Herzlichen Dank für das Interview, Herr PD Dr.-Ing. habil. Jens Holtmannspötter!

 

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